„Fast 25 Jahre alt, und du weißt immer noch nicht, was du
willst, Kind!“
Das und ähnliche Bemerkungen darf ich mir des Öfteren
anhören, seit ich mich letzten September dazu entschlossen habe, meine
Schulbildung zu erweitern und das Abitur nachzuholen. Das sorgte natürlich für
viel Kopfschütteln in meiner Familie, denn ich habe schon zwei abgeschlossene
Berufsausbildungen. Wozu brauche ich also überhaupt das Abitur?
Tja, manchmal geht es im Leben eben nicht immer geradeaus.
Während meiner zweiten Berufsausbildung besuchte ich abends das Berufskolleg,
um die Fachhochschulreife zu machen. Irgendwann musste ich mir eingestehen,
dass ich mich mehr darauf konzentrierte, die Fachhochschulreife möglichst gut
abzuschließen. Ich fühlte mich in der Schule einfach wohler als in meinem
Betrieb, und die Aufgaben fielen mir leicht.
Das war nicht immer so gewesen. Ich war in der sechsten
Klasse vom Gymnasium abgegangen, weil ich mich dort überhaupt nicht integriert
gefühlt hatte. Meine Jugend war in vielerlei Hinsicht schwierig, und so hatte
ich nach der Mittleren Reife auch zunächst keine Lust mehr auf Schule. Meine
Ausbildung schloss ich gut ab. Meine Eltern waren stolz auf mich. Während
andere meiner früheren Klassenkameradinnen erst einmal nach dem Abi auf einer
beruflichen Schule ein Jahr ins Ausland gingen, um zu sich zu finden, verdiente
ihre Tochter schon eigenes Geld.
Irgendwann stellte ich fest, dass ich von meinem „eigenen
Geld“ leider nicht genug für eine Wohnung, ein Auto und einmal Urlaub im Jahr
verdiente. Ich wohnte in einer Sechser-WG, hatte kein Auto und mehr als
Camping war nicht drin im Urlaub. Von Sparen für die eigene Altersvorsorge ganz
zu schweigen. So wollte ich nicht mein Leben verbringen.
Ich beschloss, eine zweite Ausbildung zu machen, von der ich
mir ein besseres Gehalt versprach. Doch schon innerhalb kürzester Zeit merkte ich,
dass das überhaupt nicht mein Ding war. Das Abendkolleg schon. Meine Lehrer
bestärkten mich in meinem Wissensdurst.
Irgendwann stellte ich mich der Frage, was ich eigentlich
gerne mache.
Was ist sinnvoll? Was kann ich mir mein Leben lang
vorstellen, auszuüben? Ich war auf jeden Fall schon weiter als vorher, denn ich
wusste: eine berufliche Ausbildung ist es nicht.
Um meine Ziele in die Tat umzusetzen und tatsächlich ein
wissenschaftliches Studium anzutreten, musste ich die allgemeine Hochschulreife
nachholen.
Ich informierte mich darüber, wo das geht und wie das alles
abläuft.
Die Robert-Schuman-Schule hatte auch eine Berufsoberschule
für Sozialwesen und dort meldete ich mich an. Für meine Eltern war es ein
Albtraum. Während andere Eltern ihnen erzählten, dass ihre Kinder nun im
vierten Semester Jura, Sport oder Archäologie studierten, war es für ihr Kind
noch immer ein weiter Weg zur Selbstständigkeit.
Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis sie akzeptiert haben,
dass ihr Glück nicht auch mein Glück ist. Das, was sie sich für mich gewünscht
haben, ist nicht zwangsläufig dasselbe, was ich mir von meinem Leben erwarte.
Was ist in der Berufsoberschule anders?
Bei Vielen in meiner Klasse gibt es schräge Lebensläufe. Das
hält uns zusammen, wir haben gegenseitig viel Verständnis füreinander, wo
Andere nur den Kopf schütteln würden. Wir wollen wirklich einen guten
Bildungsabschluss und die meisten von uns wissen, wofür.
Unsere Klassenlehrerin sagte am ersten Tag zu uns :„Benehmen
Sie sich wie Erwachsene, dann behandle ich Sie wie Erwachsene. Benehmen Sie
sich wie Kinder und ich werde Sie wie Kinder behandeln.“
Das Verhältnis von Lehrern und Schülern ist respektvoller,
viele Lehrer berichten, wie gern sie bei uns unterrichten. Unterricht ist
fächerübergreifender, wir diskutieren viel über Tagespolitik und üben uns in
Perspektivwechseln. Nicht selten überschneiden sich Psychologie und Biologie, Englisch und Gemeinschaftskunde, Mathematik und Biologie oder Volks- und
Betriebswirtschaftslehre und Mathematik. Diese Vernetzung erleichtert das Lernen
sehr.
Bis jetzt macht es sehr viel Spaß in dieser Gemeinschaft zu
lernen. Jeder hat schon etwas Lebenserfahrung und kann diese einbringen. Das
erste Jahr vergeht viel zu schnell und ist ziemlich intensiv.
Wer eine neue Perspektive sucht, noch kein Abi hat und nach
der Ausbildung studieren will oder in seinem Job nicht mehr glücklich ist, für
den ist diese Schule genau das Richtige. Sie führt in nur zwei Jahren zum
Abitur und das ist genau die richtige Zeit, um sich zu erden und neu zu
orientieren.
"Aber in der Beschäftigung selbst Vergnügen zu finden - dies ist das Geheimnis des Glücklichen!"
- Sophie Mereau, Betrachtungen
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